Wie kann visuelle und historische Recherche genutzt werden, um von einem komplexen Gebilde wie einem Stadtteil zu einer abstrakten Schriftgestaltung zu kommen? Diese Suche wird anhand des Beispiels des Stadtteils Köln-Ehrenfeld vollzogen: dazu entstand eine Schriftsippe mit sieben Schnitten. Gestaltete Schrift ist ein Trägermedium und versinnlicht als Kulturtechnik das Denken. Sie enthält ein System visuell gestalteter Zeichen, die wiederum individuell benutzt werden müssen, um zu ihrer Wirkung zu gelangen. Dabei wird von der Auffassung ausgegangen, dass Schrift nicht nur reiner, neutraler Träger von Information ist, sondern immer durch die zwangsläufige konkrete Ausformung durch einen Schriftschaffenden auch auf den Inhalt wirkt.
Die Schriften, welche in dieser Arbeit entstanden sind, spiegeln in ihrer Konzeption Aspekte einer nachhaltigen Stadtgesellschaft wieder. Die Diversität und die ständige Begegnung mit dem Fremden, wie sie Städten eigen ist und sich exemplarisch in Ehrenfeld finden lässt, wird in den Schriften aufgegriffen und durch die diverse Ausgestaltung einer Schriftsippe umgesetzt. Der Umgang mit Diversität ist eine zentrale gesellschaftliche Herausforderung. In diesem Sinne trägt die Schrift dazu bei, diese Diversität sichtbar zu machen. Die einzelnen Schnitte sind verwandt in ihren Grundzügen, ihre Details jedoch betonen die jeweilige Individualität. Sie kooperieren und korrespondieren miteinander. Der mehrdimensionale Aufbau der Schriftsippe spiegelt das multidimensionale Bild eines urbanen Stadtteils wieder.
Die exemplarische Eigenschaft Ehrenfelds, von der das Stadtbild bis heute bestimmt wird, ist die der Funktion Ehrenfelds als Industriestandort im 19. Jahrhundert. In Anlehnung daran bildet die Basis der gestalteten Schriftsippe die Egyptienne, welche erstmals im 19. Jahrhundert aufkam und eng mit dem europäischen Industrialisierungsprozess verknüpft ist. Bezeichnend dafür sind ein statisches Formprinzip sowie geschlossene Formen in den runden Buchstaben. Die Formen folgen einer nicht geschriebenen, rationalen, aber nicht geometrischen Logik. Die Breitenverhältnisse der einzelnen Buchstaben zueinander sind angeglichen, wie es charakteristisch für klassizistische Antiquas ist. Der Gesamteindruck der Sippe bezieht sich auf Schrift und Schriftbenutzung im öffentlichen Raum. Die Schriftschnitte sind als Display-Schriften gedacht und grenzen sich deshalb, wo angebracht, von klassischen Leseschriften ab. Buch- und Textformen von einzelnen Buchstaben werden vermieden zugunsten von Plakat-, Titel-, Akzidenz- oder handgeschrieben Formen, wie sie eher im öffentlichen Raum zu finden sind. In Plakatschriften sind auch ungewöhnlichere Details möglich, die in Textschriften zugunsten eines ungestörten Leseflusses vermieden werden.
Die einzelnen Schriftstile der Sippe weisen eine Verwandtschaft untereinander durch ähnliche Proportionen und übereinstimmende vertikale Metriken sowie ähnliche Skelette und/oder Schwarz-Weiß-Verteilungen in der Fläche auf. In den Details verlieren sich die gemeinsamen Charaktereigenschaften zugunsten eigenständiger Formen. Wo sich die Möglichkeit bietet, variieren Feinheiten wie Serifenplatzierungen oder Strichanfänge- und Endungen. Dadurch entsteht eine Verwandtschaft im Gesamteindruck und Schriftbild, während sich bei näherer Betrachtung eine hohe Diversität auftut. Dies korrespondiert mit der Diversität, die charakteristisch für Ehrenfeld ist. Das Schriftsystem ist auf Erweiterbarkeit angelegt. Die bisherigen fetten Display-Schnitte sind Endpunkte verschiedenster Achsen, wie Gewicht oder Optischer Größe. Optische Größen sind Schriftgrade die auf bestimmte Satzgrößen abgestimmt sind. Oft sind Schriften für kleinere Grade robuster, weiter und einfacher konstruiert, wogegen Schriften für größere Grade zum Beispiel feinere Haarlinien und mehr Details aufweisen. Auch haben Schriften, die für kleinere Grade konzipiert wurden, oftmals Anpassungen wie Inktraps (Tintenfalle), die das Zulaufen mit Tinte verhindern. Es ist also möglich, die bisherigen Schnitte zu einzelnen größeren Unterfamilien auszubauen. Jeder einzelne bisherige Schnitt bietet die Möglichkeit, auf einer Gewichtsachse zu expandieren.